Tönning und die Tonne, die Sturmflut und der Schwan



 

Bedeutende Sturmflutwasserstände

Die Wasserstände für bedeutsame Sturmfluten in Tönning zeigt dieser Poller am Hafen. Der Sage nach beruht das Stattwappen auf einer Sturmflutkatastrophe:

"Nachdem die Stadt lange überspült war, der Sturm nicht weniger wurde und das Wasser immer weiter zu steigen schien, hatten sich die Menschen an dem höchsten Punkt im Stadtgebiet um die St. Laurenzius Kirche versammelt. In großer Verzweiflung saßen sie zusammen und beteten. Da sahen sie einen Schwan auf einer Tonne sitzend vorbei treiben. Und dann endlich begann das Wasser zu fallen."

Zu Ehren dieses Ereignisses wurde der Schwan auf der Tonne zum Wappen von Tönning. Wie weit dies den Tatsachen entspricht kann hier nicht überprüft werden. Aber alte Tönninger haben oft erlebt wie einige Straßenzüge bei Sturmfluten unter Wasser gerieten. Auch das Haus des Seitenautors zeigt in den Mauern Spuren dieser Überflutungen von Teilen des Stadtgebietes. Und dabei liegt Tönning auf einer besonders hoch gewachsenen alten Marsch, wurden um und nahe Tönnings die bisher ältesten Siedlungen des Mittelalters in der Schleswig-Holsteiner Marsch gefunden.
 

Aber: was sind Sturmfluten, gar Sturmflutkatastrophen ?

Flut und Ebbe wechseln täglich zweimal und auch Stürme sind eher normale Ereignisse. Das bei südwestlichen Winden aufgrund der Coriolisscheinkraft das Wasser an der Westküste besonders hochsteigt und dabei die Salzwiesen vor dem Deich überflutet werden ist nichts besonderes. Sturmfluten sind nicht mehr, als dass die Kraft des Windes sich mit den tagtäglichen Flutwellen durch die Gravitationskräfte von Mond und Sonne zusammen tut, daß Wasser höher steigt, als es üblich ist. 

Aber, letztlich gäbe es ohne solche Sturmfluten gar keine Marschen, denn nur wo das aufgewühlte Wasser des Meeres hingelangt, können die mitgeführten Sedimente abgelagert werden. Jeder Zentimeter, den das Land über den normalen Flutstand hinauswächst, beruht auf zumindest kleinen Sturmfluten - ohne sie würde das Wasser keine Sedimente auf die bestehende Landfläche aufbringen können. Es ist einfach und doch verblüffend: Ohne Sturmfluten gibt es keine natürliche Marsch, Sturmfluten schufen das besiedelbare Land.
 


Drücken Sie auf das Foto oder hier um Details zu den Sturmflutmarken zu erfahren.
 
Überflutung des Tönninger Hafens am 8.10.1967; 
Foto: H. Rohde.
 
Sedimete bestehen aus Ton und Sand, sind schwer. Mit der Zeit werden kleine Hohlräume immer mehr zusammen gedrückt, viele komplizierte Prozesse wirken hier zusammen. Gut nachvollziehbar ist die vereinfachte aber richtige Vorstellung, daß sich der junge vom Meer geschaffene Boden unter dem eigenen Gewicht verdichtet und in sich zusammen sackt.

Bei aufmerksamer Beobachtung läßt sich erkennen, daß viele neue Ländereien höher als alte Flächen liegen. Ganz besonders, wenn sie frühzeitig bedeicht wurden. Der Deich schneidet die wasserbaulich durch Deiche geschützte  Marsch von der Sedimentzufuhr des Meeres ab, für sich gelassen sackt der Boden weiter in sich zusammen ohne durch Materialzufuhr erhöht zu werden. Bekannt sind viele niederländische Marschen, deren Land heute weit unter der mittleren Höhe der Flut liegt. Nur Pumpen hilft um das Land nicht im Süßwasser und Regen ertrinken zu lassen, wenn das süße Wasser aus dem Binnenland aufgrund des höheren Meeresspiegels dort nicht abfließen kann. Ähnliches gibt es auch hier.

  

Sturmflut als Katastrophe

Eine Katastrohe ist ein Ereigniss, das Menschen in ihrer Lebensform bedroht, plötzlich und unerwartet eintritt. Aufgezeichnet am Tönninger Poller sind nicht alle schrecklich wirkenden Sturmfluten, sondern nur die, die diesen Ort betrafen.

Die Höhe des Wasserstandes, die Dauer der Flut sind von Ort zu Ort unterschiedlich, es ist eher ein Zufall das an den Deutschen Küsten sich Ebbe und Flut einfach mit der Wirkung der Anziehungskräfte zusammen bringen läßt. Fast ebensowichtig ist das hin- und herschwappen in einem Randmeer wie der Nordsee, die Stauwirkung einer Bucht oder in einem bedeichten Fluß. In anderen Randmeeren wechseln Flut und Ebbe viel schneller, stärker oder weniger, werden z.T. nur alle paar Wochen spürbar - ACHTUNG für Fernurlauber !.

Zurück zur Katastrophe: sie ist Menschending; nur wenn Leben, Eigentum, die Lebensweise oder der Interessenbereich vieler Menschen gefährdet ist, wird ein ungewöhnliches Ereignis mit Katastrophe benannt. Wichtige Sturmfluten sind jene, die auf unangemessene Schutzdeiche trafen oder in ihrer Höhe und Intensität erwartete Bedrohung unterschätzten. Geredet wird über die Sturmfluten bei denen Menschen und Vieh ertranken und Häuser Schaden nahmen. 

Die Besiedlung der Marsch ist vielleicht die exemplaristische Geschichte, wie Menschen zulernten mit der angepaßten Technik des Wohnhügelbaues (Warft/Wurt) und später mit Deichbauten in einem riskanten Land zu leben. Ihr Lebensrisiko war vermutlich mehr von Kriegen und Armut bedroht, als von Sturmfluten, auf die mit dieser Technik reagiert werden konnte. In einem randlichen und schwer besiedelbaren Land zu leben war relativ sicherer.

Meist treten Sturmflutkatastrophen auf, wenn Kriege und Not die Finanzierung und Leistbarkeit für angemessene Schutzmaßnahmen nicht erlaubten. Die berüchtigten großen Mandränken wirkten nicht als Einzelereignis Es ist bisher wenig untersucht worden, ob hier nicht ein enger Zusammenhang mit der Pest (Sturmflut von 1362) und den Folgen des 30 jährigen Krieges (1634) besteht.
 

Sturmflut Definition und Klassifizierung

Eine Sturmflut ist die Abweichung vom mittleren Hochwasser durch Windstau mit Überflutungsfolgen*1).

Sturmfluten sind normal, auch die Überflutung nicht geschützter Bereiche vor dem Deich im Vorland oder auf den Halligen - Halligen sind kleine Inseln aus Marschboden ohne Deiche gegen Sturmfluten. Die Pflanzen der Salzwiese auf dem Vorland benötigen sogar diese Überflutungen, um sich gegen Arten des Binnenlandes durchsetzen zu können. 
Wie bereits gesagt, gäbe es ohne diese Sturmfluten kein solches Vorland über dem üblichen Meeresstand bevor es einfach nutzbares Marschland nach dem Deichschutz wird. Im Bereich der Tide (Gezeiten) entstehen auch an Flußufern Vorländer und oft ausgedehnte Landschaften durch die bei Sturm- und Hochfluten abgelagerten Materialien: die Flußmarschen. Und diese sind auch im Sommer ohne Deiche einfach zu nutzen. Die Unterscheidung zwischen Vorland und Marsch ist wasserbautechnisch, algemeiner und auch für unbedeichte Gebiete wird zweckmäßiger zwischen der Salzmarsch und Marsch unterschieden.

Vom zuständigen Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie gibt es eine Klassifikation von Sturmflutstärken:
 
1,5 bis 2,5 m über dem mittleren Hochwasser der Tide (MTHW) leichte Sturmflut
2,5 bis 3,5 m über MTHW schwere Sturmflut
mehr als 3,5 m über MTHW sehr schwere Sturmflut
(nach Wieland 1990).

In eine solche Bewertung geht die Häufigkeit der Wasserstände ein, ebenso wie die bei der Auslegung des Deichschutzes berücksichtigten Wasserstände. Beides ändert sich und auch der Messwert MTHW reagiert auf langfristige Veränderungen z.B. in Folge des Klimawandels.

*1) Der Große Brockhaus gibt als Definition: "durch auflandigen Sturm erzeugter, außergewöhnlich hoher Wasserstand des Meeres" (nach Wieland, 1990). Eine Neudefinition schien dem Autoren sinnvoll, da "außergewöhnlich" keine exakte Beschreibung ist und z.B. 1962 das durch den erhöhten Meeresspiegel zurückgestaute Wasser der Elbe zu den schrecklichen Überflutungen führte.

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Ist es gefährlich in Tönning zu leben oder Gast während einer Sturmflut zu sein ?

Nein ! Selbst die bisher höchste gemessene Sturmfluthöhe 1976 führte in Tönning nichtmals zu einer Überflutung des Hafenbeckens. Seit dem Bau des Eidersperrwerkes ist die Eider durch diesen Großbau vor der Wirkung von allen Sturmfluten verschont geblieben. 

Fast alle Deiche Schleswig-Holsteins sind nach der Sturmflut von 1962 deutlich ausgebaut worden und sind z.T. sogar auf noch höhere als danach zugrunde gelegte Risikowerte ausgerichtet worden. Zuständig hierfür ist das Amt für ländliche Räume in Husum.

Da hier Stürme und Orkane häufig sind, sind die Dächer der Häuser gut gepflegt, wird auf Risikobäume geachtet und vieles was ein bischen Unsicher ist, geht frühzeitig zu Bruch und veranlaßt frühzeitig geeignete Instandsetzungen. So ist es verhältnismäßig sogar sicherer einen Orkan an der Westküste als im unvorbereiteten Binnenland zu erleben.

Nach dem Sturm an die See zu fahren gehört zu den schönen Gelegenheiten an der Küste. Leider neben viel Müll gibt es oft andere Muscheln zu finden, mancherorts Bernstein und viel eigenartiges Strandgut. Wem etwas rauhes Wetter nichts anhand, der kann in den stürmischen Zeiten die Weite des Landes und den Reiz allein zu sein erfahren. 

Trotzdem ist bei Orkan nicht am Deich spazieren zu gehen und anderer Leichtsinn zu vermeiden.

Bedroht ?

Der Schutz durch angemessene Deiche kostet etwa seit Preußenzeit mehr als die heutigen Küstenbewohner zusammenbringen könnten. Aber der Deichschutz kostet nicht nur Geld, er verschlingt auch Natur. Zur Abdeckung der Deiche werden abgegraste, verdichtete Soden aus dem Vorland gestochen. Direkt am Rande und zum Teil im Nationalpark wird für diesen bautechnisch notwendigen Rasen mit salzwasserertragenden Pflanzen Schafgrasung betrieben. 

Trotz manch gegenteiliger Behauptung gilt: der Küstenschutz hat vorrang, neu in der Naturschutzgesetzgebung ist nur, daß die Schäden für die Natur dabei möglichst gering zu halten sind und zwischen den Behörden für den Deichbau und denen für den Naturschutz abzustimmen ist.

An den meisten Stellen wächst das Vorland und die Deiche sind im guten Zustand. Langfristig bedroht bleibt die Küste von höher werdenden Sturmfluten. Der menschgemachte Klimawandel verursacht weniger ein Anwachsen des Meeresspiegels durch mehr Wassers als eine zunehmende Häufigkeit und Intensität von Stürmen.

Deswegen: Klimaschutz ist Küstenschutz, hilft die Natur zu bewahren und sichert den Lebensraum am Meer. Wer dieses Land liebt, achtet auf weniger Energieverbrauch und zieht nachhaltig produzierte Waren vor. 


Virtuelles Katinger Watt Virtuelles Tönning Detailkarte 14